Novaliskomplex
Der Novaliskomplex beschreibt das Feuer als erotisches Symbol. In der Psychologie wird seit mehr als 30 Jahren an dem Zusammenhang von Feuer mit der Sexualität geforscht. So schreibt Ernst Ell in seinem 1983 veröffentlichten Werk "Wenn Kinder zündeln - Vorschläge zur Feuererziehung", dass "Arbeiten über die Triebdynamik (...) auf dem Prinzip (gründen): Feuer = Sexualität" (S. 37). Und in der Tat gibt es hierzu, insbesondere bei Brandstiftern, eindeutige Belege, auch wenn zwischen den einzelnen Fällen differenziert werden muss und sollte.
Wenn eine innere Beziehung besteht zwischen Brandstiftung und Sexualität - und sie ist in vielen Fällen nachweisbar -, dann sicher auch zwischen Feuer allgemein und Sexualität. (Ell, 1983, S. 38)
Dabei muss jedoch differenziert werden, denn nicht jeder der sexuell vom Feuer erregt wird, ist oder wird zu einem Brandstifter. Genauso verhält es sich umgekehrt, denn nicht jeder Brandstifter wird sexuell von Feuer erregt. Das wird auch auf der Fachtagung zum Thema "Serienbrandstiftungen" vom 27. Mai 2010 deutlich. Dort heißt es:
So sind Brandstifter mit einem Novalis-Komplex (sexuelle Erregung) sehr selten (Nicolaus, 2010)
Bleiben wir noch bei dem Bereich der Brandstiftung. In Zusammenhang damit wird einem möglicherweise auch der Begriff "Pyromanie" einfallen. Als ein Kriterium dieser Krankheit wird unter anderem eine starke Erregung sowie Befriedigung beim Feuerlegen beschrieben. Diese Erregung und auch die Befriedigung können durchaus sexuell geprägt sein. Es ist jedoch zu sagen, dass Pyromanie eine eher seltene Krankheit ist und längst nicht jede Brandstiftung kann als Pyromanie beschrieben werden.
Weniger selten ist die Pyrolagnie. Darunter wird eine sexuelle Erregung beim Anblick von Feuer verstanden. Menschen, die von einer Pyrolagnie betroffen sind, werden zwar von Feuer sexuell erregt, aber dieser Erregung folgen nicht zwangsläufig negativen Taten. Bei entsprechender Recherche im Internet finden sich auch durchaus Personen, die davon betroffen sind/sein könnten. So finden sich Menschen in Online-Gruppen zusammen, um über ihre Neigung zu sprechen. Nicht allen fällt dies leicht.
In einer dieser Gruppe taucht auch der Begriff der Pyrosexualität auf. Dabei handelt es sich um einen Begriff, den man derzeit vermutlich noch in keinem Lexikon finden wird, weil er noch zu wenig in der Gesellschaft anerkannt oder erforscht ist. Die Pyrosexuellen scheinen derzeit eher eine Randgruppe und eine kleine Minderheit zu sein. Es stellt sich jedoch die Frage:
Wie viele Menschen mögen da draußen noch existieren, die so geprägt sind,
aber aus Angst ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu verlieren, schweigen?
Vielleicht wird sich eines Tages das Verständnis in der Gesellschaft wandeln, sodass diese Menschen, solange sie anderen keinen Schaden zufügen, ganz öffentlich leben können, so wie es auch die Homo- und Bisexuellen geschafft haben. Aber zurück zum Novaliskomplex. In seiner Beschreibung stützt sich Ernst Ell vor allem auf Gaston Bachelard, der diesen Komplex zuerst in seiner Psychoanalyse des Feuers beschreibt. Im Wesentlichen wird innerhalb dieses Komplexes auf die bereits bekannten Erkenntnisse eingegangen, sowie auf die vielen sprachlichen Redewendungen. Dabei hat dieser Komplex durchaus eine Auswirkung auf unsere heutige Gesellschaft. Dies wird durch folgendes Zitat deutlich:
Wie vor dem Feuer wollen daher viele Eltern ihre Kinder vor der Sexualität bewahren. (...) Jeder Kampf gegen die sexuellen Triebe im Kinde muss daher notwendigerweise durch den Kampf gegen das Feuer symbolisiert werden: zum einen, weil der Besitz des Feuers das Kind zum (psychisch) Erwachsenen macht, der das Recht auf ein Sexualleben in Anspruch nehmen kann; zum anderen, weil vom Feuer auf das Kind eine allgemein und darum auch sexuell erregende Wirkung ausgeht, welche "die Unschuld des Kindes" gefährdet. Die "bewahrende Sexualerziehung" und die "bewahrende Feuererziehung" gehen daher bei vielen Eltern Hand in Hand. (Ell, 1983, S. 42)
Kindern wird eine Sexualität ebenso wenig zugestanden, wie der Umgang mit Feuer. Beides sind Bereiche, durch die Erwachsene nur zu gerne ihre Macht demonstrieren. Um diese Macht nicht zu verlieren, müssen beide Bereiche dem Kind vorenthalten werden. Zusammenfassend schreibt Ernst Ell über den Novaliskomplex:
Es gibt eine Wesensverwandtschaft zwischen Feuer und Sexualität. Will man das Kind kleinhalten, muß man ihm beides versagen. Wer aber ein vollwertiger Mensch sein will, der muß zugleich um das Recht auf Feuer wie um das Recht auf Sexualität kämpfen (Ell 1983, S. 43).
In der Psychoanalyse des Feuers von Gaston Bachelard wird der Novaliskomplex im dritten Kapitel beschrieben. Einigkeit herrscht darüber, dass die ersten Menschen Feuer durch Reibung zweier trockener Holzstücke erzeugten. Man geht davon aus, dass der Mensch dieses Verfahren, das Feuer zu entfachen, in sich selbst entdeckt hat. Ein zentrales Kriterium dafür ist die Reibung und unterschiedliche Wärmeempfindungen.
Zuallererst muß man zugeben, daß das Reiben eine stark sexualisierte Erfahrung ist (Bachelard, 1985, S. 33).
Unsere Vorfahren könnten sehr empfänglich für die Lust und ihre ganze Träumerei sexuell ausgerichtet gewesen sein. Über das Reiben der Körper aneinander haben sie Wärme und sexuelles Glück empfunden. Diese sexuelle Erfahrung, Glück und Wärme durch Reibung zu erzeugen, gilt als Grundlage der Feuererzeugung. Bereits 1753 finden sich dazu Hinweise in einer Abhandlung von Charles Rabiqueau:
Das zärtliche Reiben drängt diejenigen Teile des Luftgeistes zurück, die sich dem Durchgang einer spirituosen Materie widersetzen, die wir Samenflüssigkeit nennen. Dieses (...) Reiben erzeugt in uns durch die Feinheit der Spitzen des Feuergeistes eine sinnliche Empfindung, einen Kitzel, (...) je mehr sich dieser Feuergeist an der geriebenen Stelle ansammelt. Wenn dann die Flüssigkeit für den in der Atmosphäre angesammelten Feuergeist zu schwer geworden ist, verläßt sie ihren Platz und fällt in die Gebärmutter hinab, wo gleichfalls die Atmosphäre herrscht. (...) Das weibliche Geschlecht ist der geheime Speicher kleiner menschlicher Sphären, die sich im Eierstock befinden. Diese kleinen Sphären sind ein ruhender, lebloser (...) Stoff, wie eine nichtangezündete Kerze oder ein Ei, das bereit ist, das Lebensfeuer aufzunehmen, wie (...) der Zunder oder das Streichholz, die diesen Feuergeist erwarten (zitiert nach Bachelard, 1985, S. 37).
Man sah im Feuer ein lebendes Wesen, welches Nahrung brauchte und welches sich fortpflanzen konnte. Was lag für unsere Vorfahren also näher, als sich an ihren Erfahrungen zu bedienen, denn "das wohlige Gefühl der körperlichen Liebe hat wohl auf viele Erfahrungen der Urmenschen ausgestrahlt" (Bachelard, 1985, S. 39). Liest man an dieser Stelle weiter, könnte man auf den Gedanken kommen, dass auch das Stöhnen und der Höhepunkt bereits in die Ausführungen von Bachelard mit einfließen, obwohl dies nicht explizit geschrieben steht.
Man braucht Zeit und Geduld, um ein Stück Holz in Brand zu setzen, indem man es in die Rille eines zweiten dürren Holzstücks einführt. Aber für ein Wesen, dessen ganze Träumerei sexuell ausgerichtet war, mag dieses Verfahren sehr angenehm gewesen sein. Vielleicht hat der Mensch bei dieser zärtlichen Verrichtung singen gelernt. Jedenfalls ist es eine unverkennbar rhythmische Arbeit, eine Arbeit, (...) die seine Schwingung überträgt; die Arme reiben, die Hölzer klopfen, die Stimme singt, alles vereint sich zur gleichen Harmonie, zum gleichen krafterzeugenden Rhythmus; alles ist ausgerichtet auf die gleiche Erwartung, auf ein Ziel, dessen Wert man kennt (Bachelard, 1985, S.39).
Vielleicht wird auch dem unkundigen Leser inzwischen klar, dass Feuer und Sexualität enger zusammen hängen, als man geahnt hätte.
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